12.09.2007

Die echte Engelwurz (Angelica archangelica)

Die Angelika ist eine Pflanze des Nordens – sie liebt das raue, feuchte und wilde Klima Skandinaviens, Islands, und Grönlands. So stammen auch die ältesten Überlieferungen der Pflanze aus diesen Regionen. In Skandinavien ist ihr Name Kvan. Auf den Färöern wächst sie wild in den Vogelfelsen. Später wurde sie auch in Gärten gepflanzt und in manchen Gegenden wurde sie in eigens für sie angelegten Gärten gehegt und gepflegt. Schon vor Tausenden von Jahren wurde sie als Heil- und Gemüsepflanze überaus geschätzt. Sie wurde auf skandinavischen Märkten gehandelt und sogar in südliche Länder ausgeführt. Selbst Gesetzte schützten die Angelika. So durfte sie auf Island nicht auf einem fremden Grundstück ausgegraben werden und anderenorts durften die Menschen, die einen Angelikagarten angebaut und gepachtet hatten, diesen bei einem Umzug mitnehmen. Auf den Färöern gibt es selbst eigene Namen für Angelikagarten, Angelikadiebstahl, Angelikadieb oder für Orte an denen die Angelika wächst. Auch die Lappen betrachten die Engelwurz als eine der wichtigsten Schöpfungen der Erde und verwendeten sie offenbar für einen Liebeszauber.











Als Nahrungsmittel sind alle Pflanzenteile essbar. Die Färöer, Isländer und Norweger essen auch heute noch die gekochte Wurzel, junge Stängel und Blattstiele roh im Salat oder auch gekocht als Gemüse. In Lappland werden die Blütendolden zusammen mit Rentiermilch zu einer Art Käse zubereitet. Überlieferungen zufolge brachten die Wikinger im 10 Jahrhundert die Angelika nach Mitteleuropa. Dort wurde sie zunächst von den Mönchen in den Klostergärten kultiviert und bald wuchs sie auch in jedem Bauerngarten. Heute finden wir sie hier vor allem in den Mittelgebirgen und in den Schluchten von höheren Gebirgen. Sehr viel häufiger treffen wir unsere einheimische Angelika, die wilde Engelwurz an, die vor allem auf feuchten Wiesen, an Flussufern und in Wäldern vorkommt. Allerdings wurde diese zu medizinischen Zwecken weit weniger angewendet.
Etwa im 14. Jahrhundert wurde die echte Engelwurz zum ersten Mal in den mitteleuropäischen Arzneibüchern erwähnt. Sie galt als eine der wichtigsten Heilkräuter gegen ansteckende Krankheiten und viele Heilmittel und Lebenselixiere wurden aus ihr, vor allem aus der Wurzel, hergestellt. Wie in ihrer nordischen Heimat so wurden ihr auch hier überirdische Kräfte zugeschrieben. Einer Legende zufolge soll zu Pestzeiten ein Erzengel die Engelwurz als Rettung in größter Not den Menschen gezeigt haben. Jedenfalls galt sie als eine der wichtigsten Heilpflanze gegen die Pest. Auch Paracelsus berichtete davon, dass er die Engelwurz mit Erfolg gegen sie einsetzte. Um sich selbst vor Ansteckung zu schützen, hängten sich die Ärzte ein Stück Angelikawurzel um den Hals, von dem sie immer wieder ein Stück abbissen und kauten. Zu diesen Zeiten erhielt sie auch den Namen Angelica archangelica, was soviel wie die erzengelartige Engelhafte oder auch Erzengelwurz bedeutet. Auch die Färöer wendeten sie während der Pestepidemie an. Eine Geschichte aus jener Gegend erzählt, dass sie in großer Anzahl auf Friedhöfe gepflanzt wurde, nachdem die Pest vorüber war.



Die Angelika ist eine eindrucksvolle Erscheinung. Sie kann bis zu 2 1/2 Meter groß werden und wirkt sehr kraftvoll und zugleich sanft. Ihre Gestalt erscheint licht und hell. Sie hat etwas aufrechtes, großzügiges und würdevolles. Wenn wir vor ihr stehen und zu ihr aufschauen, sie betrachten und mit allen Sinnen in uns aufnehmen, können wir ihr Wesen und ihre besondere Ausstrahlung fühlen. Sie ist eine Pflanze die Himmel und Erde verbindet. Eine lichtbringende Pflanze, die unsere Seele stärkt und unsere Lebenskraft erneuert. Auch galt sie schon immer als schutzmagische Pflanze, die vor unerwünschtem Zauber schützt. Sie ist verbunden mit den Elfen und die Orte an denen sie wächst sind Orte des Glücks.


Und wenn wir sie genau betrachten erzählt die Pflanze selbst von diesen ihr innewohnenden Kräften. Allein schon durch ihre beeindruckende Größe und ihren mächtigen Stängel vermittelt sie Ruhe, Kraft und Stärke, schenkt Selbstachtung, Sicherheit und Mut. Ihre schützende Kraft offenbart sie durch die Hüllblättchen, die sie um die Blüte legt, bevor diese sich entfaltet. Wenn sie dann ihre strahlenden kugelförmigen, sanft-flaumig hellgrünen Blüten geöffnet hat, fühlen wir die Zuversicht und Freude die sie uns schenkt, die uns aufrichtet und unser Herz öffnet. Ihr frischer aromatischer Duft und ihr herber feuriger Geschmack wärmt unsere Seele und entzündet den Lebensfunken in uns. Und durch ihren lila bereiften Stängel zeigt sie uns ihre Verbindung zum Kosmos und weckt unser universelles Bewusstsein.


Um die Angelika in voller Blüte und Größe zu erleben, müssen wir drei Jahre lang warten. Im ersten Jahr bildet sie eine auf der Erde aufliegende Rosette mit großen dreigeteilten Blättern aus. Sie sammelt ihre Kräfte in der Wurzel, bevor im dritten Jahr ihr mächtiger Stängel nach oben steigt und an dessen Ende im Juli und August strahlende, von Bienen umschwärmte Blütendolden sich entfalten. Nach und nach folgen, an ihren seitlichen Trieben, weitere Blüten. Im Herbst, wenn sich die Samen entwickeln, zeigen sich ihre Blütendolden oft in drei verschiedenen Entwicklungsstadien. Sind die einen gerade frisch erblüht, reifen die anderen bereits zu Samen heran, und wieder andere sind schon vollständig ausgereift und zum Keimen bereit. Nach der Blüte wird die Pflanze sterben und ihre Samen werden neue Pflanzen hervorbringen.
Die Angelika scheint mit der Zahl drei verbunden zu sein. Ihre Blätter sind dreigeteilt, meist vergehen drei Jahre bis zu ihrem Aufblühen, drei Hüllblättchen bedecken ihre noch nicht entfaltete Blüte und ganz zuletzt zeigt sie sich in ihrem Blütenstand in drei Stadien. Die Zahl drei ist eine alte heilige Zahl. Ihre Bedeutung geht weit in vorchristliche Zeiten zurück. Sie war das Symbol der dreifaltigen Göttin in ihrer Gestalt des jungen Mädchens, der reifen Frau und der Greisin. Symbol der drei Phasen des Lebens von Wachstum, Tod und Wiedergeburt. Eine Trinität, die untrennbar miteinander verbunden ist. Und vielleicht weist uns die Angelika darauf hin uns dem Lebensfluss hinzugeben, die Phasen des Werdens, Wachsens und Vergehens anzunehmen. Ihre Kraft, so wird berichtet, schützt in Zeiten von Krisen und Veränderung und begleitet und stärkt uns in Transformationsprozessen .
Von ihrer umfassenden und mächtigen Heilkraft zeugen auch die Namen, die ihr die Volksmedizin gab. So wird sie Angstwurz, Brustwurz, Luftwurzel, Giftwurz, Zahnwurz, Magenwurz, Nervenstärk, Glückenwurzel, Zauberwurz, oder Liebeswurz genannt. So verrät uns der Name Magenwurz ihre heilsame Wirkung auf die Verdauung. Innerlich eingenommen verbessert sie den Stoffwechsel von Leber, Galle und Bauchspeicheldrüse, regt den Appetit an und fördert die Verdauung. Sie desinfiziert die Darmflora, hilft bei Blähungen und Völlegefühl, und zeigt eine schmerzlindernde Wirkung bei Magen –Darm –Krämpfen.
Als Brustwurz und Luftwurzel wirkt sie auf die Bronchien, löst zähen Schleim und krampfhaften Husten und lässt uns wieder frei atmen. Giftwurz wird sie genannt, weil sie Gifte im Körper bindet und ausleitet. So wird sie bei Schwermetallvergiftung eingesetzt und unterstützt bei Nikotin- und Alkoholentwöhnung. Den Namen Zahnwurz erhielt sie, da sie äußerlich auf einen schmerzenden Zahn gegeben, den Schmerz betäubt. Als Liebeswurz vermittelt sie uns Selbstachtung, Eigenliebe und Nächstenliebe. Auch regt sie die Liebe und Lust am Leben an und steigert die Fruchtbarkeit und Sexualität von Frau und Mann. Den Namen Frauenwurz hätte sie zudem auch noch verdient, da sie die Gebärmutter stärkt, bei Menstruationsschmerzen entkrampft und die Blutung fördert. Als Angstwurz entkrampft sie Geist und Seele, gibt uns Gelassenheit, innere Sicherheit, Entschlossenheit und Lebensmut. Ihr Namen Nervenstärk deutet auf ihre kräftigende Wirkung hin. Sie stärkt bei Schwäche und Stress und allen Geschehnissen und Vorhaben, die starke Nerven erfordern. Zauberwurz wird sie genannt, weil sie einen magischen Schutz um uns legt und so vor unerwünschtem Zauber durch menschliche Bosheit oder anderen schädigenden Kräften schützt. Sie vertreibt nicht nur die bösen Geister, sondern zieht auch die guten an. Und wenn wir uns all ihre Kräfte nochmals vergegenwärtigen, verstehen wir von selbst, wie sie zu ihrem Namen Glückenwurzel kam.



In unserer heutigen westlichen Medizin findet die Angelika aufgrund ihrer bisher analysierten Inhaltsstoffe vor allem Anwendung als Magenwurz und Nervenstärk. Festgestellt wurden aber auch antimikrobielle, und entzündungshemmende Wirkstoffe, die uns vor Ansteckung und Krankheiten wie Bronchitis und Lungenentzündung schützen. Bekannt ist auch ihre harntreibende und schweißtreibende Wirkung, die unseren Körper reinigt und entgiftet. Diese Heilkräfte weiß die Volksmedizin auch heute noch zu nutzen, die die Pflanze nicht nur innerlich sondern auch äußerlich anwendet. Als Bad und Salbe hilft sie bei Nervenschmerzen, Rheuma und Gicht. In der anthroposophischen Medizin wird sie erfolgreich bei Lymphdrüsenschwellungen eingesetzt. Ihre chinesische und sibirische Verwandte findet dagegen auch große Anerkennung als Brustwurz, Zahnwurzel und Frauenwurz, sowie als hilfreiche Pflanze bei Rheuma und Gelenkschmerzen sowie zur Kräftigung des Herzens.
Ihre energetische Wirkung und ihre magische Kraft lassen sich allerdings nicht über ihre Wirkstoffe bestimmen. Dies sind die Kräfte ihres Wesens. Um sie zu spüren, sollten wir ihre Gestalt betrachten und ihren Geist in uns aufnehmen.

Die Angelika gehört zur Familie der Doldenblütler. Diese umfasst mehr als 3000 Pflanzenarten Dazu gehören auch Möhre, Meisterwurz, Kümmel und Liebstöckel. Aber auch mächtige und gefährliche Genossen wie der Schierling zählen dazu. Wenn wir die Angelika ernten wollen, müssen wir sehr sorgsam vorgehen, wir könnten sie nämlich mit ihm verwechseln. Behutsam sollten wir bei der Ernte auch sein, weil ihr Pflanzensaft Furocumarine enthält, die durch Berührung mit der Haut Reizungen hervorrufen können. Auch wenn sie innerlich angewendet wird, sollte in dieser Zeit auf Sonnenbäder und intensive UV -Bestrahlung verzichtet werden. Vorsicht auch in der Schwangerschaft, da sie die Gebärmutter anregt und Blutungen auslösen kann. Die Erntezeit der Angelika hängt davon ab, welchen Pflanzenteil wir sammeln wollen. Die Blätter und Stängel werden am besten vor der Blüte geerntet, die Wurzel im Herbst oder Frühjahr, wenn ihre Kraft am größten ist und ihre Samen zu der Zeit, wenn sie voll ausgereift sind.


Die Angelika wird als Tee getrunken oder als Tinktur eingenommen, als Salbe aufgetragen, oder als Badezusatz bereitet. Sie entfaltet aber auch durch Verräuchern ihrer Wurzel und durch Verdampfen der ätherischen Öle ihre heilenden Kräfte. Auch war sie schon immer ein wichtiger Bestandteil von Lebenselixieren wie dem Theriak, der im Mittelalter als Wunder -und Allheilmittel galt. Noch heute ist sie im Schwedenbitter und Melissengeist eine unverzichtbare Ingredienz. Zudem verleiht sie den traditionellen Klosterlikören wie dem Chartreuse und dem Benediktiner ihr einmaliges Aroma. Für die Teezubereitung wird 1 TL der Wurzel mit 1 Tasse kaltem Wasser übergossen und bis zum Sieden erhitzt. Danach noch kurz ziehen lassen, abseihen und schluckweise trinken.